Die Zukunft der Menschheit – Die Vision des Buddha

Interpretation der Rede „Verfall und Wiederaufstieg der Menschheit“, Längere Sammlung 26 von Paul Köppler, aus dem Rundbrief 3/2021, Haus Siddharta

Die Rede des Buddha über die Zukunft der Menschheit beginnt mit einer kurzen und klaren Aufforderung, Schutz und Sicherheit in sich selbst zu suchen und einer Anweisung, wie man das machen soll. Wir können vermuten, dass dieser Aussage eine Frage vorausging, vielleicht wie man Sicherheit gewinnt oder wie man eine gute Zukunft erreichen kann.

»Findet in euch selbst das Licht, seid euch selbst ein Schutz. Sucht das nicht woanders. Habt in der Lehre einen Schutz. Wie findet ihr diesen Schutz? Indem ihr das gewöhnliche Verlangen und die alltäglichen Sorgen lasst und unermüdlich, klaren Geistes und mit Einsicht die Achtsamkeit auf den Körper, auf die Empfindungen und Gefühle, auf die Geisteszustände und die Grundlagen der Lehre richtet. So seid ihr euch selbst ein Licht und ein Schutz. Geht ihr diesen Weg, seid ihr dem Tod entkommen. Weil ihr auf die Förderung der heilsamen Energie achtet, werdet ihr das erreichen.«

An diesem Anfang fällt auf, dass als Weg die vier Übungsgebiete der Achtsamkeit (Satipatthana) genannt werden. Zweitens wird hier als Ziel die Freiheit vom Tod angegeben. Um diese, vielleicht schwer verständlichen Aussagen anschaulich zu machen, erzählt der Buddha folgende Geschichte von einem weisen König und seinen Nachfolgern und den jeweils guten oder schlechten Entwicklungen der Menschen.

»Vor langer Zeit lebte ein großer König, der gerecht regierte und für Frieden und Sicherheit in seinem Reich sorgte. Alles, was er eroberte, gewann er nicht durch Waffengewalt, sondern durch kluges Handeln. Als er merkte, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, zog er sich aus dem weltlichen Leben zurück, um zu meditieren, übergab seinem Sohn die Herrschaft und sagte: ›Wenn deine Herrschaft unter einem guten Stern stehen soll, lieber Sohn, dann halte dich an grundlegendes Recht und Gesetz und nimm es als Führung. Sorge für den Schutz und die Sicherheit deines Volkes, deiner Streitkräfte, Fürsten, Brahmanen, Weisen und Gelehrten, aber auch der Tiere und Pflanzen. Lass nicht zu, dass Unrecht aufkommt. Wenn es in deinem Reich Arme gibt, dann sorge für sie. Die weisen Lehrer und Asketen, die bescheiden, achtsam und moralisch leben und ihren Geist unter Kontrolle haben, die suche auf, und frage sie: ›Was ist verdienstvoll? Was sollte man bewahren? Was sollte man tun und lassen? Was führt zu guten Ergebnissen?‹ Auf ihre Ratschläge sollst du hören und dich vom Unrechten abwenden. Dann erfüllst du deine Pflichten als großer Herrscher.‹
Der Sohn erfüllte diese Pflichten, gelobte die fünf ethischen Richtlinien einzuhalten, die auch die Grundlage für sein Volk waren. Diese Regeln lauteten: Nicht töten, nichts nehmen, was nicht gegeben wurde, sich keines sexuellen Fehlverhaltens schuldig machen, nicht lügen oder grobe Worte verwenden und berauschende Getränke vermeiden. So gedieh sein Land, und es herrschte Frieden. Sieben Generationen von Königen brachten auf diese Weise dem Land Glück und Frieden. Der nächste König jedoch suchte nicht die Weisen seines Landes auf und fragte sie nicht nach den Pflichten. Er regierte das Land nach seinen eigenen Vorstellungen. So geschah es, dass in manchen Gegenden der Wohlstand verloren ging. Ratgeber, Minister und Heerführer kamen, um den König an seine Pflichten zu erinnern, er jedoch wollte nicht auf sie hören. Zwar versuchte er, seinem Volk Schutz und Sicherheit zu geben, aber er versäumte es, für die Armen und Bedürftigen zu sorgen. So breitete sich der Mangel im Land weiter aus. Es herrschte große Armut, und einige Leute begannen zu stehlen.
Sie wurden dem König vorgeführt, und er fragte sie: ›Warum habt ihr gestohlen?‹ Sie antworteten: ›Wir haben nicht genug zum Leben .‹ Da gab ihnen der König Geld. Als sich das herumsprach, wurde immer mehr gestohlen, da man vom König weiteres Geld erwartete. Eines Tages dachte dieser: ›Wenn ich damit fortfahre, allen Dieben Geld zu geben, ermuntere ich sie nur weiter zum Stehlen.‹ So ließ er den nächsten Dieb fangen und ihm den Kopf abschlagen. Nun aber waren die Leute aufgebracht und stellten Waffen her, um Selbstjustiz zu üben. So verbreitete sich das Rauben und Töten, und das Leben der Menschen wurde unsicher und kürzer. Es wurde gelogen, verleumdet und Gewalt angewendet.
Diesem König folgte ein anderer, der nicht besser regierte, und so kam es, dass das Leben der Menschen von Generation zu Generation kürzer wurde und ihr ganzes Verhalten sich zum Schlechten wendete. Sie glaubten, schlechte Taten seien gut und gute Taten schlecht. Kinder missachteten ihre Eltern, die Ethik verschwand aus dem Leben der Menschen, sexuelle Zügellosigkeit verbreitete sich.«

Der Buddha zeigt hier klar, dass die guten oder schlechten Bedingungen vom Verhalten und Bewusstsein der regierenden Personen abhängen. Nun verlässt der Buddha die Vergangenheit, von der man annehmen kann, dass die Kulturen immer wieder auf- oder absteigen. Es beginnt seine Vision für die Zukunft.

Der Buddha fährt fort: »Es wird eine Zeit kommen, in der die Menschen im Durchschnitt nur noch wenige Jahre leben. Viele neue Krankheiten werden entstehen, und die Nahrung wird immer schlechter werden. Alle moralischen Grundlagen und guten Handlungen werden verschwinden. Diejenigen, die
sich am grausamsten verhalten, bekommen die meiste Anerkennung. Jeder Respekt vor älteren Menschen und Familienmitgliedern wird verloren gehen, und die Menschen werden sich ohne Schamgefühl wie die Hunde paaren. Bösartigkeit, Hass, Mord und Totschlag, Intrigen, Verleumdung, selbst unter Verwandten, werden zunehmen.

Wenn diese Entwicklung ihren tiefsten Punkt erreicht hat, fallen alle übereinander her und schlachten sich ab, als wären sie Tiere. Einige fliehen schließlich in versteckte Gebiete und ernähren sich von wilden Pflanzen. Wenn sie dann aus den Verstecken herauskommen und das Grauen, das das gegenseitige Töten hervorgebracht hat, sehen, freuen sie sich, dass auch einige andere überlebt haben. Als Erstes beschließen sie, einander nicht mehr zu töten. Sie entwickeln allmählich wieder ein besseres Verhalten. Dadurch gewinnen sie neue Kräfte. So wird sich ihre Lebenserwartung vergrößern. Sie werden gesünder, und da sie die positiven Wirkungen ihres veränderten Verhaltens erkennen, erinnern sie sich wieder an die ethischen Richtlinien: Sie hören auf, zu stehlen, zu lügen, anderen zu schaden, zu schimpfen und gewalttätig zu sein. Sie geben ihre falschen Ansichten auf und beginnen, die Mitglieder ihrer Familien wie auch die Weiseren und Älteren zu schätzen und zu verehren.
Auf diese Weise wird diese Gesellschaft von Generation zu Generation friedlicher, und die Menschen werden immer älter. Die dann voll entwickelte Menschheit ist gesund und leidet nur noch unter drei Übeln: unter Begierde, Hunger und den Leiden des Alters. Alle Städte und Länder werden über großen Reichtum verfügen und mit Menschen aller Rassen dicht besiedelt sein. In dieser Zeit wird es herausragende Herrscher geben, die Frieden und Sicherheit in allen Gebieten aufrechterhalten. Sie werden viele fähige Verwalter haben, die das Land und seine Bewohner vor allen schlechten Einflüssen und vor Feinden bewahren. In dieser Zeit wird auch der zukünftige Buddha Maitreya erscheinen. So wie ich, ist dieser Buddha ein Erwachter, der die Lebensgesetze aus sich selbst heraus vollkommen durchschaut hat. Als ein großer Lehrer der Menschheit wird er die Wahrheit verkünden, die am Anfang, in der Mitte und am Ende des Weges hilfreich ist. So wie ich, wird auch er die Menschen auffordern, in sich selbst und in der Lehre Schutz und Sicherheit zu finden. Wie in alten Zeiten wird sich dann der oberste König aus der Welt zurückziehen, meditieren und das höchste Ziel des Weges erreichen.«

Hier schließt sich der Kreis mit der Vision von einem zukünftigen Buddha, der dann erscheint, wenn die Herrscher und Völker die dafür notwendigen, friedlichen Bedingungen geschaffen haben. Sie macht klar, dass eine Entwicklung der Menschheit zum Höheren möglich ist. Es liegt am Verhalten und der Einsicht jedes Einzelnen, welche gesellschaftlichen Realitäten wir schaffen. Der Name dieses Buddha (= der Liebevolle) lässt vermuten, dass sein Schwerpunkt in der Entfaltung der unbegrenzten Liebe liegen wird.
Ob die oben gegebene Beschreibung, nämlich viele Menschen, großer Wohlstand, gute Verwalter, schon auf unsere Zeit zutrifft, mag jede/r selbst entscheiden. Tatsache ist jedoch, dass es in manchen Regionen der Welt seit über 70 Jahren eine Art von Wohlstand und Frieden gibt, der in der Geschichte der Menschheit so kaum zu finden war. Ob wir deshalb für den Maitreya Buddha schon reif sind oder vorher diesen Frieden in der Welt noch weit mehr entwickeln sollten, lässt sich nicht beantworten.
Der letzte Teil bringt zunächst eine Wiederholung der am Anfang der Rede stehenden Aufforderung und weitere Angaben, wie man diese Klarheit und Sicherheit in sich selbst findet.

»Ich sage euch: Findet in euch selbst das Licht und den Schutz. Findet in der Lehre den Schutz. Sucht es nicht woanders. Übt die Achtsamkeit so, wie ich es gelehrt habe. Wenn ihr diesen Weg geht, wird eure Lebenskraft zunehmen, ebenso die Gesundheit, das Glück, der Reichtum und die Macht. Was ist damit gemeint?
Durch hingebungsvolle und ausdauernde Sammlung des Geistes werdet ihr geistige Kräfte bekommen, durch die ihr eure Lebenszeit verlängern könnt. Ein tugendhaftes, reines Leben bedeutet wahre Gesundheit. Wenn ihr ohne Begierden und fern von schädlichem Verhalten in der Meditation die vier geistigen Vertiefungen erreicht, dann erlebt ihr das wahre Glück. Reichtum bedeutet, dass ihr durch die Übung und Entfaltung des liebevollen Wohlwollens für alle
Wesen frei von Ärger und bösen Absichten seid. Die wahre Macht bedeutet, dass ihr die Verblendung und Unwissenheit überwindet und ihr die Befreiung im Herzen und Geist erreicht und verwirklicht.«

Zunächst betont der Buddha, dass die Übung der Achtsamkeit, wie er sie am Anfang in den vier Gebieten, nämlich Körper, Gefühle, Geist und Lehre, genannt hat, zu einem langen Leben, Gesundheit, Wohlstand, Glück und Macht führt. Es ist vor allem die geistige Sammlung, die ein langes Leben ermöglicht. Nun erklärt der Buddha, was er unter den versprochenen Segnungen des Lebens versteht. Gute Gesundheit bedeutet ein ethisch ausgerichtetes Leben ohne Gier und Hass. Das wahre und unabhängige Glück entsteht durch eine intensive Sammlung des Geistes, die zu den vier Vertiefungen führt. Wohlhabend ist man, wenn man durch die Übung des unbegrenzten liebevollen Denkens für alle Wesen, frei von bösen Absichten und Ärger wird.

Die wahre Macht besteht darin, durch Überwindung von Verblendung und Unwissenheit die Befreiung von Herz und Geist zu verwirklichen.
Welche Wirkung hat nun diese Befreiung? Ganz am Ende der Rede gibt es eine erstaunliche Antwort.

Der Buddha beendete seine Rede, indem er sagte: »Ich sehe keine andere Macht im Leben, die so schwer zu bezwingen ist, wie die Macht des Todes. Weil man gelernt hat, das Heilsame zu fördern, kann sich jedoch dieses Ergebnis einstellen.«

Es gibt verschiedene Wege die „Befreiung von Geist und Herz“ zu beschreiben. Da sie jedoch unser gewöhnliches Sein vollkommen überschreitet, lässt sie sich tatsächlich nicht in Worten ausdrücken. Der Buddha wählt hier eine interessante Metapher. Er behauptet, dass die größte Macht im Leben eines Menschen der Tod hat. Dem kann man sicher zustimmen, weil wir für gewöhnlich denken, dass niemand dem Tod entgehen kann. Dann sagt er jedoch, dass jemand, der diesen heilsamen Weg geht, den Tod überwinden kann.
An anderen Stellen lehrt er, dass es für einen Erwachten keine Geburt und keinen Tod mehr gibt, dass er vom Tod nicht mehr gefunden werden kann. Mit dieser unglaublichen Botschaft gibt der Buddha eine Vision, die uns äußerst motivieren sollte, in jedem Augenblick alle Energie für diese wahre Befreiung aufzubringen.

Die Rede ist aus dem Buch: „Paul Köppler: Das lehrt der Buddha“ entnommen. Es ist keine wörtliche Übersetzung, sondern eine sinngemäße, gekürzte Fassung.